Gutachten: Krankenkasse muss Therapieplan genehmigen
Von 2012 bis 2014 zog sich ein Streitfall mit der Barmenia. Die Zahnärztin Sabine Wolf extrahierte trotz ungeklärter Versicherungslage und aufgrund von Beschwerden zwei Zähne. Da die Barmenia nicht eingelenkt und erstattet hatte, übergab die Patientin die Angelegenheit ihrem Rechtsanwalt. Den Verlauf schildert die Autorin im folgenden Beitrag.
Von Sommer 2012 bis März 2014 zog sich ein Streitfall mit der Barmenia. Patientin Frau Th. hatte sich im Juni 2012 (!) bei mir vorgestellt, weil seit Längerem bestehende immer wiederkehrende Beschwerden in der Vorbehandlerpraxis nicht beseitigt werden konnten. Allgemeinanamnestisch besteht seit ca. 20 Jahren eine Multiple Sklerose. Die Patientin ist jedoch in recht gutem Allgemeinzustand, uneingeschränkt mobil und selbstständig arbeitstätig. Vorhanden war ein aktuelles OPG aus der Vorbehandlerpraxis. Ich fertigte einige weitere Zahnfilme an.
Die Diagnose: Nichterhaltungswürdige Zähne 16, 24, 26, 27, 46 (konfluierende Mehrfachproblematik von fortgeschrittenem Knochenabbau, Furkationsbefall, bestehenden Wurzelfüllungen und apikalen Parodontitiden) und eine generalisierte Parodontitis marginalis chronica. Frau Th. entschied sich nach Aufklärung über die definitiven Versorgungsmöglichkeiten für eine Implantatversorgung mit Keramikimplantaten. Der definitive Therapieplan wurde bei der Versicherung vorsorglich eingereicht.
Die Barmenia beauftragte einen Gutachter. Dieser bestand auf Grundlage von Modellen und Röntgenbildern auf den Erhalt von 16, 26, 27, korrigierte nach Einspruch auf 16 und 26, warf mir vor, ich würde weit über das zahnmedizinisch notwendige Maß „ganzheitlich“ therapieren wollen. Darüber hinaus wurde die Verwendung von Keramikimplantaten mit den Begründungen abgelehnt, diese „seien erst seit Kurzem auf dem Markt“, hätten „die mit Abstand höchste Verlustrate“, eine „langfristige Osseointegration sei nicht nachgewiesen“ und „nach spätestens ein paar Jahren fallen die meisten Keramikimplantate einfach aus dem Knochen heraus, weil sie wegen ihrer glatten Oberfläche nicht in den Knochen integriert werden können“. Ebenso wurde die Anzahl der geplanten Implantate angefochten.
Im Dezember 2012 wurden alle geplanten Zähne trotz ungeklärter Versicherungslage und aufgrund von Beschwerden entfernt und herausnehmbar interimsversorgt. Parodontitisbehandlung schloss sich an. Da die Barmenia noch nicht einmal hinsichtlich meiner Extraktionsentscheidungen eingelenkt und erstattet hatte, übergab die Patientin die Angelegenheit ihrem Rechtsanwalt.
Ein weiteres Gutachten wurde erwirkt und von der Barmenia bezahlt. Dieses erstellten die Herren Professores Hemprich und Graf von der Universität Leipzig nach körperlicher Begutachtung.
1. Im Ergebnis wurde betont, dass die Diagnose „Multiple Sklerose“ grundsätzlich eine sichere Elimination aller Entzündungsprozesse erfordere und dass Wurzelspitzenresektionen diesem bei einer 50%igen Erfolgswahrscheinlichkeit im 5-Jahres-Zeitraum nicht gerecht würden.
2. Es wurde erneut auf der Grundlage der anfangs vorhandenen Röntgenbilder die Erhaltungswürdigkeit der infrage stehenden Zähne beurteilt und meine Diagnosen bestätigt.
3. Hinsichtlich der Anzahl der Implantate wurde mein Therapieplan ebenfalls bestätigt. Vor dem Hintergrund der Konsensuskonferenz zur Regelversorgung von Freiendsituationen sei die individuelle Situation und Position der natürlichen Zähne entscheidend und die definitive Anzahl obliege der Absprache des Behandlers mit dem Patienten.
4. Die Verwendung von Zirkonoxidimplantaten sei eine individuell zulässige Therapieentscheidung, da es sich um Medizinprodukte handele, die für die vorliegende Indikation zugelassen sind. Notwendigerweise sind nach 10 Jahren Anwendung der Zirkonoxidimplantate weniger wissenschaftliche Arbeiten vorhanden als nach 50 Jahren Titanimplantologie. Einschränkende Schlusssätze in wissenschaftlichen Arbeiten seien Sicherheitsbehauptungen, da eigentlich nie genügend Daten vorliegen. Sie seien aus rechtlicher Sicht hier unerheblich. Der Satz im Schreiben der Barmenia „in der Regel fallen Keramikimplantate einfach aus dem Knochen heraus, weil sie wegen ihrer glatten Oberfläche nicht in den Knochen integriert werden können“, sei eine – noch dazu unsachliche – unbewiesene Meinung, der viele renommierte Literaturquellen entgegenstünden.
5. In der Schlussbemerkung äußert Prof. Graf sein Befremden über das Urteil des Barmenia- Gutachters, eines approbierten Zahnarztes. Modelle, Röntgenbilder und Schriftsätze reichten nicht aus zur Begutachtung von Diagnosen und gar Therapiekonzepten. Anamnese und klinische Befund seien unablässig für Gutachten. Anderes, wie das vorliegende Vorgehen, widerspräche elementaren Regeln der ärztlichen Sorgfaltspflicht.
Die Barmenia hat mit Schreiben vom 25.3.2014 den Therapieplan vollumfänglich genehmigt.
In diesem Fall wurde keine Gericht angerufen, damit gibt es auch kein Gerichtsurteil. Ich denke, dass aber das Gutachten von Professor Graf richtungsweisend ist.
Autorin: Zahnärztin Sabine Wolf