Neue Materialien für neue Herausforderungen in der Implantologie

Die Forschung und Entwicklung in der dentalen Implantologie widmet sich der Suche nach neuartigen und geeigneten Materialien, um Stabilität und Ästhetik weiter zu verbessern. Eine gute Biokompatibilität der Materialien bildet dabei die Grundlage. Die Natur bietet hierfür eine große Auswahl an stabilen Werkstoffen, wie z. B. Magnesium und Seidenfibroin, welche als Kandidaten im Fokus wissenschaftlicher Bemühungen stehen. Aktuelle Forschungen unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Dr. Ralf Smeets an der Universitätsklinik Hamburg befassen sich mit diesen Werkstoffen sowie ihren Eigenschaften. Im Gespräch mit dem Implantologie Journal gibt Prof. Smeets Einblicke in den aktuellen Forschungsstand.

Herr Prof. Smeets, moderne Keramikimplantate schicken sich derzeit an, in vielen Indikationsbereichen als Alternative für Titanimplantate zu avancieren. Mit diesem Werkstoff werden wiederum neue Implantatdesigns möglich. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Ich denke, dass im Bereich der Keramikwerkstoffe große Fortschritte gemacht wurden. Die neuen Keramiken können hohe Lasten aufnehmen, zeigen eine gute Geweberegeneration und sind in manchen Fällen sofort belastbar, allerdings sind sie eher als sinnvolle Ergänzung zu konventionellen Titanimplantaten zu sehen. Ich denke nicht, dass wir Titan und seine Legierungen als Werkstoff mit Keramikimplantaten vollständig verdrängen werden. Im Bereich der Titanimplantate können wir mittlerweile auf mehrere Jahrzehnte gut dokumentierter klinischer Anwendung zurückgreifen. Zudem sind keramische Werkstoffe bis heute noch anfällig gegenüber Stoßbelastung und brechen zumeist spröde. Hier haben Titanwerkstoffe immer noch Vorteile. Am Ende stehen dem Anwender und dem Patienten zunehmend verschiedene Werkstoffkonzepte zur Verfügung, sodass die individuellen Vorlieben dieser berücksichtigt werden können. Ich denke, dass diese Entwicklung sehr positiv ist.

Abb.: Prototyp eines resorbierbaren, individuellen Magnesiumimplantats für größere Knochendefekte ohne Keramisierung (a) und nach erfolgter Keramisierung (b). © Univ.-Prof. Dr. Dr. med. Ralf Smeets

Sie forschen darüber hinaus zu weiteren biokompatiblen Werkstoffen, die Sie in der Zahnmedizin einsetzen möchten. Welche Stoffe und Materialien sind das und wo liegen deren Einsatzmöglichkeiten?

Unser Schwerpunkt liegt im Bereich resorbierbarer Werkstoffe. Hier nutzen wir Magnesium im Bereich der Osteosynthese und Knochenregeneration sowie Seidenfibroin im Bereich des Weichgewebsersatzes. Mit diesen beiden Werkstoffen steht uns eine breite Technologieplattform zur Verfügung, mit der wir so gut wie jegliche Anwendung in der regenerativen orofazialen Chirurgie, aber auch darüber hinaus, abdecken können.

Was genau kann man sich unter der Integration von Wachstumsfaktoren vorstellen und welche Vorteile gehen damit einher?

Wachstumsfaktoren können mithilfe von verschiedenen Verfahren in diese Werkstoffe integriert oder auf der Oberfläche verankert werden. Ein prominenter Vertreter im Bereich der Knochenregeneration ist rhBMP-2, welches als morphogenetisches Protein den Knochenaufbau anregt. Allerdings muss der Einsatz von Wachstumsfaktoren immer sorgfältig gegen das Risiko einer adversen Langzeitreaktion abgewogen werden, sodass hierdurch Zulassungsprozesse mitunter erheblich komplizierter und langwieriger werden können. Einen positiven Effekt auf den Knochenstoffwechsel sehen wir dagegen auch schon ohne Wachstumsfaktoren bei unseren Studien zu Magnesiumimplantaten. Hier scheint durch die Freisetzung von Magnesiumionen ein osteostimulativer Effekt einzutreten. Dies wäre natürlich eine sehr elegante Methode, auf Wachstumsfaktoren vollständig zu verzichten.

Wann ist ein regulärer Einsatz von Seidenmembranen in der Zahnmedizin vorstellbar?

Derzeit werden im Bereich der Knochenaugmentation, insbesondere der GBR/GTR-Therapie, zahlreiche Dentalmembranen eingesetzt. Die Fallzahl ist beträchtlich. Die Resorption solcher Membranen ist offensichtlich von Vorteil und bislang werden diese fast ausschließlich aus xenogenem Kollagen hergestellt. Der Einsatz von Kollagenmembranen ist etabliert und zeigt gute Ergebnisse, allerdings gibt es immer wieder Aspekte, die wir verbessern könnten. Die meisten Kollagenmembranen sind in speziellen Indikationen zu dick, kollabieren im feuchten Zustand schnell und lassen sich manchmal nur schwer formen. Nicht zuletzt gibt es aus Anwendersicht zunehmend auch Vorbehalte gegenüber des tierischen Ursprungs, z. B. in muslimischen Ländern. Wir glauben, diese Nachteile mit Dentalmembranen aus Seidenfibroin umgehen zu können. Über neue Prozesse wie das Elektrospinnen können wir die Porendichte solcher Membranen quasi beliebig einstellen und sehr dünne, aber reißfeste Membranen herstellen. Nicht zuletzt experimentieren wir mit der Kombination aus dünnen Versteifungselementen aus Magnesium, welche im Inneren der Seidenmembranen liegen und diese plastisch verformbar machen. Der Vorteil der Kombination der beiden Materialien ist, dass eine derartig versteifte Membran trotzdem vollständig abbaubar wäre.

An Magnesium, welches auf dem Papier vor allem im zahnmedizinischen Einsatzbereich vielversprechend zu sein scheint, haben sich viele Forschungs- und Entwicklungsgruppen bisher die Zähne ausgebissen. Sie behaupten, einen Schritt weiter zu sein. Wie wollen Sie Magnesium für die Zahnmedizin nutzbar machen?

Wir versuchen, möglichst wenig zu behaupten und lieber unsere Ergebnisse für sich sprechen zu lassen. Wir haben mittlerweile viele präklinische Studien abgeschlossen, welche wir sukzessive publizieren. Die Ergebnisse sind evident. Natürlich begrenzen sich die Aussagen immer nur auf bestimmte Anwendungen. Magnesium ist ein anspruchsvoller Werkstoff mit einem dynamischen Abbaumechanismus und deshalb nicht für jede Anwendung geeignet. In den nächsten Jahren werden wir uns darauf konzentrieren, auch großvolumige Magnesiumimplantate in lasttragenden Anwendungen, z. B. orthopädischen Platten- oder Schraubensystemen, einzusetzen. Im Moment sind dentale Anwendungen jedoch sehr gut geeignet, da wir hier durchgängig geringere Anforderungen an die Größe und Festigkeit solcher Implantate haben und stattdessen die regenerative Wirkung im Vordergrund steht.

Wie ist die bisherige Resonanz auf Ihre Forschungsansätze bei Ihren Kollegen?

Wir bekommen eine sehr gute Resonanz und freuen uns, dass wir unser wissenschaftliches Netzwerk durch die Zusammenarbeit mit Kollegen stetig erweitern können. Die Regenerative Medizin ist ein interdisziplinäres Fach, und wir können nicht alles alleine abdecken. Bereits heute können wir sagen, dass wir mit den führenden Forschungsgruppen im Bereich der muskoskelettalen Chirurgie und des Tissue Engineerings zusammenarbeiten dürfen. Ich denke, dass eine übergreifende Kooperation der einzige Weg zur Translation von der klinischen Forschung in die Anwendung ist.

Neue Materialien und Produkte bedürfen auch neuer industrieller Fertigungsverfahren. Momentan wird der Markt allerdings von Titan und den großen Implantatherstellern sowie Dentalgruppen bestimmt. Wie wird sich der Markt im Zuge der größeren Materialvielfalt verändern?

Die Macht der Hersteller im Bereich dentaler Implantate ist in den letzten Jahren sehr stark angewachsen. Wir erleben eine starke Konsolidierung des Markts. Dies ist nicht unbedingt negativ zu sehen, da diese Hersteller mit ihrem Namen und ihrer Geschichte auch für Sicherheit stehen und zurecht ein hohes Vertrauen genießen. Allerdings fällt es großen Konzernen auch zunehmend schwer, innovativ zu sein und schnell auf dem Markt zu reagieren. Wir arbeiten im Bereich der Magnesiumimplantate und beim Seidenfibroin mit innovativen Start-ups zusammen, welche Erstaunliches leisten können, obwohl ihnen meistens deutlich weniger personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen. Diese Firmen sind nicht nur innovativ, wenn es um neue Anwendungen geht, sondern auch sehr stark technologisch fokussiert und versiert im Umgang und der Etablierung neuer Produktionsverfahren, z. B. im Bereich der additiven Fertigung. Leider wird es für solche Firmen durch die Änderungen der europäischen Medizinprodukterichtlinie immer schwieriger, ohne die finanziellen Mittel der großen Hersteller alleine über die obligatorische klinische Erprobung hinauszukommen. Für die Zukunft würde ich mir wünschen, dass wir es schaffen, wieder ein Gleichgewicht zwischen hoch innovativen und flexiblen Marktakteuren und den etablierten Traditionsunternehmen herstellen zu können.

Herr Prof. Smeets, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview ist im Implantologie Journal erschienen.

Foto: UKE/Univ.-Prof. Dr. Dr. Ralf Smeets

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